Immer seltener: „Herr Doktor“

Waren zu Beginn dieses Jahrhunderts die männlichen Zahnmedizin-Studierenden in deutlicher Überzahl (rund zwei Drittel Männer), hat sich seither eine große Verschiebung ergeben: Manche Universitäten weisen in einzelnen Studiengängen bereits 100 % weibliche Studierende aus. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Zahnarztpraxen: Mittlerweile sind 49 % aller zahnärztlich tätigen Zahnärzte (ohne Zahnärzte in Industrie, Verwaltung oder sonstigen Einrichtungen) weiblich. Bei den unter 35 Jahre alten Zahnärzten sind inzwischen fast zwei Drittel weiblich, bei Studiums-Abschluss sind es über 66 Prozent. Mit diesen Veränderungen einher geht auch die Entwicklung in der Berufsausübung, wie das aktuelle Statistische Jahrbuch der Bundeszahnärztekammer zeigt: Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen eröffnen Zahnärztinnen seltener eine eigene Praxis und sind öfter als Angestellte in einer bestehenden Zahnarztpraxis tätig. Der Entwicklung zugrunde liegen Änderungen im Vertragszahnarztrecht von 2007, die den Zahnärzten erlaubten, bis zu drei Kolleginnen und Kollegen in Anstellung zu beschäftigen. Seit 2019 ist diese Grenze weiter geöffnet worden. Die steigende Anzahl der weiblichen Zahnmedizinstudierenden hing nicht zuletzt mit dem Numerus clausus des Studienfaches zusammen: Die damaligen Bewerbungs-Institute für einen Studienplatz sahen unter den Einser-Abiturienten deutlich mehr Frauen als Männer. Untersuchungen zeigen, dass Zahnärztinnen in Anstellung davon ausgehen, bei dieser Form der Tätigkeit leichter Beruf und Familie vereinen zu können – ein Trend, dem sich inzwischen auch immer mehr junge männliche Zahnärzte anschließen.

Zahnwurzelentzündung: Omega3 und Sport

Wenn Bakterien die Zahnwurzel erreicht haben, führen sie besonders an der Wurzelspitze oft zu chronischen Entzündungen – sie greifen das umliegende Gewebe und den Kieferknochen an (apikale Parodontitis) und sind nicht leicht in den Griff zu bekommen. Eine große Rolle spielt daher die körpereigene Infektionsabwehr, das Immunsystem. Ist es in der Lage, die Entzündung wenigstens einzudämmen und im Griff zu halten, ist schon viel gewonnen. Insofern ist es interessant zu wissen, was man dem Immunsystem „geben“ muss, damit es hier erfolgreich arbeiten kann. Brasilianische Wissenschaftler haben sich mit genau dieser Frage befasst. Ihre Antwort: sportliche Aktivität plus Omega3-Zufuhr. Die an Ratten gemachte Studie ergab, dass schon allein ein bisschen regelmäßiges Schwimmen die Entzündungsaktivität abbremsen konnte. In der Studiengruppe, die zusätzliche Omega3-Präparate bekam, war das Ergebnis noch einmal deutlich besser, insbesondere die Anzahl der am Knochenabbau beteiligten Zellen war gesunken und die Regeneration des entzündeten Gewebes verbessert. Das Ergebnis belegt damit, dass Änderungen im Lebensstil – hier im Bereich sportliche Aktivität und Ernährungsverhalten – deutlichen Einfluss gerade bei chronischen Entzündungsprozessen haben.

Schmerzmittel: demnächst aus Plastikmüll?

Es wird vermutlich wenige Haushalte geben, in denen nicht ein Anti-Schmerz-Mittel im Arzneischrank liegt. Freiverkäufliche Produkte wie Paracetamol werden auch bei Zahnschmerzen genutzt. Der Verbrauch an solchen Analgetika ist erheblich. Da kommt die Arbeit einer schottischen Wissenschaftler-Gruppe gerade recht: Sie haben erfolgreich PET-Flaschen mit bestimmten Bakterien zusammengetan und dabei den Wirkstoff Paracetamol gewonnen. Die Kolibakterien (Escherichia coli / E. coli), die man bisher eher in Verbindung mit starkem Durchfall oder Blutvergiftung kannte, wurden für den Versuch entsprechend genetisch verändert, die PET-Flaschen wurden in ihre chemischen Grundstoffe zerlegt. Dann folgten einige biochemische Vorgänge, Enzyme und spezielle Pilze wurden zugesetzt. Das Ergebnis: über 90 Prozent des Mixes bestand aus Paracetamol. Die Herstellung erfolgt nahezu CO2-neutral, zudem in Zimmertemperatur, und vermindert den weltweiten Plastikflaschenmüll. Technische Biologie und biokompatible Chemie, so die Wissenschaftler, könnten heute nachhaltige und umweltfreundliche Bioprozesse vorantreiben.

Zahnverlust: früher normal, heute Ausnahme

Zu den spannenden Ergebnissen der aktuellen VI. Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS) seitens des wissenschaftlichen Institutes der Deutschen Zahnärzte (IDZ) gehören die Entwicklungen im Bereich Zahnverlust. Während es früher als normal galt, dass Menschen im höheren Alter nur noch wenige oder gar keine eigenen Zähne mehr hatten, hat sich die Situation deutlich verbessert. Die Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen, als „jüngere Seniorinnen und Senioren“ bezeichnet, zeigte im Jahr 1997, zum Start der Deutschen Mundgesundheitsstudien, durchschnittlich 17,6 fehlende Zähne, heute sind es nur noch 8,7. Die Zahnverlustrate hat sich in diesem Zeitraum also halbiert. Vollständigen Zahnverlust sehen die Zahnärzte heute kaum noch. Um das Jahr 2000 herum waren noch rund 23 % der Seniorinnen und Senioren ganz ohne eigene Zähne, heute sind es 5 % ¬– und 7 % sind sogar inzwischen vollbezahnt. Der Erfolg, so das DMS-Team, geht auf die deutlich genutzten Präventionsangebote der Zahnärzteschaft zurück, aber auch Bildung spielt eine große Rolle: In der im Blick stehenden Altersgruppe sind unter denen mit hohem Bildungsgrad 13 % vollbezahnt, in der niedrigen Bildungsgruppe nur 4 %. Auch eine Migrationsgeschichte erhöht die Durchschnittszahlen für Zahnverlust: Mehr als doppelt so viele Menschen mit Migrationshintergrund sind komplett zahnlos im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne diese Lebenserfahrung. Auch wenn Zahnverlust insgesamt deutlich sinkt, bleibt er ein wichtiges Gesundheitsproblem aufgrund seiner Folgewirkungen. Das Wissenschaftler-Team weist darauf hin, dass soziale Ungleichheiten nach wie vor ein Risikofaktor sind und entsprechend Handlungsbedarf besteht.

Aktualisiert: Zahnärztliche Arzneimittel

Medikamente werden nicht nur in ärztlichen Praxen eingesetzt, sondern auch in zahnärztlichen. Der richtige Umgang mit diesen Arzneimitteln, das Abwägen von Nutzen und Risiken und möglichen Nebenwirkungen wird von der Arzneimittelkommission Zahnärzte übermittelt – in Fortbildungen, aber auch regelmäßig aktualisierten Übersichten. Kürzlich ist die neue entsprechende „Information“ für die Zahnarztpraxen erschienen, Herausgeber dieser 214-Seiten-Publikation sind wie immer die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. In so gut wie jedem zahnärztlichen Behandlungsgebiet gibt es Neuerungen, die zu beachten sind. Manche betreffen rechtliche Aspekte wie das korrekte Vorgehen im Umgang mit Betäubungsmitteln, bei anderen geht es beispielsweise um den Arzneimitteleinsatz zur Blutstillung bei Zahnfleischbluten, um Medikamente zur Entzündungsbehandlung und im Notfalleinsatz, um Antibiotika, Schmerzmittel und Wurzelkanalspüllösungen. Ein besonderer Blick gilt dabei vulnerablen Patientengruppen wie beispielsweise Schwangeren und Kinder. Es finden sich aktualisierte Hinweise zu Arzneimittelallergien, zu Wechselwirkungen mit anderen Präparaten und auch zu pflanzlichen Wirkstoffen. Diese umfangreiche Übersicht für die Zahnarztpraxen macht nicht zuletzt deutlich, wie stark die Zahnmedizin auch „Medizin“ ist und welche Rolle ärztliches Denken und Handeln spielen.

Fruchtgummis: Ungesunde Schlafhilfe

Noch eher frisch im Handel sind sogenannte Schlaf-Fruchtgummis, unter verschiedenen Namen. Sie sollen Kindern das Einschlafen erleichtern. Für die Eltern und Kinder eine auf den ersten Blick bequeme Lösung: Ein Fruchtgummi schmeckt dem Kind und die Eltern haben abendliche Ruhe. Auf den zweiten Blick ist zu warnen: Stiftung Warentest hat diese speziellen und vergleichsweise teuren Fruchtgummis auf ihren Gehalt an schlafförderndem Hormon Melatonin geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen: nicht empfehlenswert. Genauer: Vor diesen Produkten wird gewarnt. Grund dafür ist die unklare Deklaration und teilweise Überdosierung des Schlafhormons Melatonin. Eine Überdosierung kann beispielsweise zu Übelkeit führen, Kopfschmerzen und Verdauungsproblemen. Kinderärzte warnen vor Folgen wie Schlafstörungen und beobachten damit das Gegenteil dessen, für was diese Schlaf-Fruchtgummis eigentlich da sein sollen. Darüber hinaus sind nicht alle Produkte zuckerfrei – sie enthalten Glukose oder andere Zuckerarten. Auch aus zahnärztlicher Sicht sind sie daher nicht empfehlenswert, wenn nach dem Kauen kein Zähneputzen erfolgt.

Schlafmangel: Zahnbett leidet mit

Schlafmangel hat viele Ursachen – und auch viele Folgen. Müdigkeit, möglicherweise Fahrlässigkeit, Konzentrationsmangel, vielleicht auch gereizte Stimmung kennt vermutlich so gut wie jeder, der schon einmal ein paar Nächte nicht wirklich zur Ruhe kam. Hält der Zustand an, ist auch das Immunsystem „genervt“ und empfindlicher als üblich. Genauer: Bestimmte Nervenzellen im Gehirn wirken bei Schlafmangel wie ein Verstärker für Entzündungen. Wer bereits eine beginnende oder fortgeschrittene Parodontitis (Zahnbettentzündung) hat, das zeigen bereits frühere Studien, muss mit einem Voranschreiten der Infektion rechnen. Dass es hier einen Zusammenhang gibt, weiß man also schon seit längerem. Nun hat eine US-amerikanische Wissenschaftler-Gruppe geforscht, warum das so ist, und herausgefunden, dass der Schlafmangel nicht zu einer Veränderung der bakteriellen Besiedelung der Region führt, sondern Nervenzellen das Immunsystem auf ungesunde Weise steuern. Ein gesunder Schlaf ist für Körper und Seele wichtig – und für ein stabiles Immunsystem, das sich allen Herausforderungen stellen kann.

Wichtiges Update: Diabetes-Behandlung

Nicht nur in Deutschland weisen wissenschaftliche Fachgesellschaften seit Jahren auf den Zusammenhang von Diabetes und Parodontitis (Zahnbettentzündung) hin: Es ist längst erwiesen, dass sich beide Erkrankungen gegenseitig beeinflussen. Dazu gehört, dass eine Parodontitis die Wirkung des Insulins verringert, das Diabetes-Patienten zur Ermöglichung eines halbwegs normalen Alltagslebens zu sich nehmen müssen. Nun hat endlich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf diese Erkenntnisse reagiert. Dieses Gremium entscheidet, welche medizinischen Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden und welche nicht. Vor wenigen Wochen hat der G-BA seine Anforderungen an eine Diabetes-Behandlung aktualisiert und dabei auch die zahnmedizinischen Aspekte mit aufgenommen. Die Relevanz regelmäßiger Mundgesundheitskontrollen und die Rolle der Mundgesundheit insgesamt haben einen neuen Stellenwert erhalten. Die fachübergreifende Herangehensweise an Prävention und Behandlung von Diabetes ermöglicht den Praxen nach gesetzlicher Verankerung einen Finanzrahmen, der auch zahnärztliche Untersuchung und Behandlung mit im Blick hat. Das Vorhaben ist jetzt auf dem Weg durch die Gremien, nach Inkrafttreten bereiten sich die (zahn-)ärztlichen Strukturen auf die Berücksichtigung der neuen Vorgaben vor.

Gesund: Sonne für die Zähne

Wenn Zahnärztinnen und Zahnärzte über die Relevanz von Vitamin D für die Mundgesundheit sprechen, verweisen sie manchmal auf den Hauptlieferanten für dieses Vitamin im Körper: die Sonne. Umgangssprachlich wird es auch „Sonnenvitamin“ genannt, weil die Vitamin D3-Gruppe bei Sonnenkontakt vom Körper selbst, über das Hormonsystem, produziert wird. Unabhängig davon, auf welchem Weg der Körper eine Zufuhr an D-Vitaminen erhält, ist seine Rolle bei der Gesundheit von Mundgewebe und Mundflora so groß, dass bei Mangelerscheinung zu einer Substitution, also einem Ausgleich durch entsprechende Nahrungsergänzungsmittel geraten wird. Insbesondere in der dunklen Jahreszeit reicht die Eigenproduktion des Körpers oft nicht aus. Und wer zu Sonnenschäden in den Sommermonaten neigt und sich entsprechend dick mit Sonnenschutzmitteln eincremt, verhindert damit die ausreichende Aufnahme des Sonnenvitamins: Das Immunsystem ist abgebremst in seiner Fähigkeit, Entzündungen zu bekämpfen. Studien haben gezeigt, dass ein niedriger Vitamin-D-Anteil im Körper nicht zuletzt zu einem erhöhten Risiko für Zahnfleischentzündungen und Gewebeverlust führen kann. Der Biofilm, die Gemeinschaft der Bakterienkulturen im Mund, die für eine ausgewogene Gesundheit sorgt, ist bei Vitamin-D-Mangel aus dem Lot. Auch über Knochengesundheit und Weichgewebe-Funktion hinaus ist das Vitamin relevant für Mundgesundheit: Auf dem Weg über den Kalziumstoffwechsel steuert es die Bildung und die Stabilität des Zahnschmelzes. Somit gehört das Sonnenvitamin zum wichtigen Teil der Mikronährstoffe, die ohne Vitamin D nicht ausgewogen sind. Zahnarztpraxen können den Vitamin-D-Gehalt im Körper der Patienten messen und gewinnen damit Erkenntnisse, die sich auf Prävention und Behandlung auswirken können.

Biologische Veränderungen: Frauen als Patienten

Seit fast 25 Jahren gibt es nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Zahnmedizin wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass Frauen und Männer zwar viele gemeinsame Munderkrankungen und Störungen der Mundgesundheit erleben, bei Frauen aber andere Ursachen dafür bestehen können. Die entsprechende geschlechterspezifische Herangehensweise hat seither eher ein Nischendasein in der Zahnmedizin geführt, vermutlich auch deshalb, vermuten Experten im Bereich Gender Dentistry, weil große Kongresse keine finanziellen Sponsoren finden: Die Thematik ist wenig mit Produktverkauf verbunden. Dass es anders geht, damit hat der europaweit größte Kongress im Bereich der Parodontologie (Zahnbetterkrankungen), die „Europerio 11“, für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Er wurde auch als Weckruf für die Zahnmedizin verstanden, sich mehr den spezifisch weiblichen Facetten bei Zahn- und Munderkrankungen zu widmen. Hier spielen Hormone eine große Rolle, die nicht nur den Körper insgesamt im Laufe des Lebens stark beeinflussen, sondern auch den Mundraum. Beispielsweise führe der sinkende Östrogenspiegel in der Menopause zu dünnerem Speichel, anfälligeren Kieferknochen und empfindlicheren Schleimhäuten – und damit zu mehr Entzündungen, zu Veränderungen des Geschmacks und Problemen mit der Akzeptanz von Zahnersatz. Das Mikrobiom im Mund – die Gemeinschaft aller Bakterienfamilien – wird durch die Hormonveränderungen aus dem Lot gebracht, Infektionen und Zahnschädigungen können zunehmen, zu Brennen im Mund führen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Besonders relevant sind Auswirkungen auf die Knochengesundheit und damit den Zahnhalteapparat. Beispielsweise wurde seitens der zahnärztlichen Referenten zu einer Hormonersatz-Therapie geraten, um der Problematik verminderter Knochendichte vorzubeugen.